Na? Enttäuscht oder überfordert?

Der Mensch scheint im Umgang mit der Zukunft zumeist nur zwei Gemütszustände zu kennen: entweder den der Enttäuschung oder den der Überforderung. Dazwischen, wo der Punkt der großen Inspiration läge, passt so gut wie nichts.

Wann immer man darüber spricht, was die Zukunft bringen könne, wartet man auf den großen Aha-Effekt, so unwahrscheinlich dieser auch sein mag. Insgeheim hofft man darauf, dass jemand passgenau die große Zukunftschance liefert, die nur Vorteile bietet und kaum Risiken und die gleich von einer großen Mehrheit unterstützt wird – im kleinen wie im großen Rahmen. Doch wenn eine solche Lösung aller Probleme so leicht zu haben wäre, wäre sie nichts wert.

Realistische Visionen werden nicht als solche wahrgenommen

Wolfgang S. ist ein Visionär. Der zweite Geschäftsführer eines sehr erfolgreichen Zuliefer-Unternehmens sieht sich gerne in der Rolle des Vordenkers. Kürzlich wollte er in einem unternehmensinternen Strategie-Workshop realistisch sein. Er sprach über das Internet der Dinge. Dieses recht konkrete und leicht verständliche Thema wählte er, um mal nicht als Spinner zu erscheinen. Alles und jeder werde mit allem und jedem verbunden sein, eine total vernetzte Welt schaffe ganz neue Möglichkeiten und Qualitäten, eine Revolution des Lebens und Arbeitens, wusste er zu erzählen. In den Gesichtern der Kollegen konnte er die Enttäuschung deutlich erkennen: Wie langweilig, das gibt’s doch schon, das kennt doch jeder. Die notorisch offenherzige Kollegin V. sprach es aus: Schön und gut, aber das sei ja nun keine Zukunft mehr, ob er denn nicht etwas wirklich Faszinierenderes einbringen könne. Sein Einwand, dass man noch in der Steinzeit des Internets der Dinge stehe, verhallte gänzlich wirkungslos. Die allgemeine Enttäuschung über seine Vision blieb im Raum.

Unrealistische Visionen werden nicht für wahr gehalten

Gut, dachte sich Wolfgang S. Keine halbe Stunde später gab er zum Besten, was er erst am Vortag gelesen hatte. Das amerikanische Militär lässt Uniformen entwickeln, die die Soldaten unsichtbar machen sollen. Und mit Soldaten-Robotern wie dem „BigDog“ gibt es bald millionenstarke Roboter-Armeen, die praktisch selbstständig und ohne ein Soldatenleben zu riskieren in den Krieg ziehen. Überhaupt die persönlichen Roboter, die PeRos. Wolfgang S. gestikulierte ausladend. Die PeRos, dozierte er, werde man über das Internet erziehen und warten. Gleichsam wie wir heute unsere Handys über das Internet mit Apps füttern, werden unsere PeRos untereinander ihr Wissen austauschen. Je nach Portemonnaie können wir die Wissensteilung unserer PeRos mit einem Tausend, einer Million oder einer Milliarde anderer PeRos abonnieren. Und das Geld dafür verdienen wir mit den Apps, die wir selbst mit Leichtigkeit programmieren. Wir ziehen uns einfach Datenhandschuhe an, die jeden Mikrometer Bewegung erfassen, schälen damit Zwiebeln, speichern die Daten als App und publizieren unser Werk auf der PeRo-Plattform. Und schon kann jeder PeRo weltweit Zwiebeln schälen, sofern es sich um die neueste PeRo-Version mit zwei Armen und der Feinfühl-Stufe sechs handelt.

Die Vögel im Vorgarten waren noch das lauteste. Totale Stille im Raum. Ein Kollege band sich grinsend die Schuhe. Wieder nahm V. sich ein diplomatisches Herz. Es sei ja schon wirklich faszinierend, was man sich alles für die Zukunft vorstellen könne. Sie habe im letzten Jahr auch einen Science Fiction Film gesehen, dort konnte man in Parallelwelten reisen. Aber man sei ja hier nun mal in einem Wirtschaftsunternehmen, ob er denn nicht etwas Relevanteres auf Lager hätte.

Lösung: Das Nahe aus der Ferne und das Ferne aus der Nähe betrachten

Wolfgang S. war vollends frustriert. Entweder waren sie enttäuscht oder überfordert, die Kollegen. Beides hatte er eben am eigenen Leibe erlebt. Die Herausforderung liegt darin, mit den Extremen von Enttäuschung und Überforderung richtig umzugehen. Wenn man einen Trend oder eine Technik bereits kennt, heißt das noch nach lange nicht, dass man alle darin liegenden Potenziale erkannt hat. Wenn etwas arg fantastisch klingt, kann es mit einer leicht veränderten Perspektive plötzlich sehr praxistauglich werden. Es ist eine Erfolgsformel im Zukunftsmanagement, das Nahe aus der Ferne und das Ferne aus der Nähe zu sehen. Wer also zu früh Enttäuschung oder Überforderung zulässt, beraubt sich seiner Zukunft.

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