Prognosen und Szenarien zur Zukunft der Mobilität gibt es derzeit viele
Auf welche Prognosen und Szenarien zur Zukunft der Mobilität kann man als Unternehmer oder Manager seine Vision und Strategie wirklich aufbauen? Wie werden wir in Zukunft wirklich mobil sein? Was kommt? Was geht? Was bleibt? Rational wissen wir alle, dass wir die Zukunft nicht berechnen können. Und dennoch: Wir alle haben diesen – vielleicht etwas naiven – Wunsch, die Zukunft vorhersehen zu können. In der Projektarbeit mit Führungsteams mache ich zu Beginn der Zusammenarbeit häufig ein kleines Experiment: Ich bitte jedes Geschäftsleitungsmitglied, für sich zu notieren, welches die drei wichtigsten Marktveränderungen der kommenden zehn Jahre sind. Anschließend stelle ich die Frage, welche aktuell kontrovers diskutierten Veränderungen nicht eintreten, also wo der Markt auch in zehn Jahren noch genau so sein wird wie heute. Dann legen wir die Blätter nebeneinander. Das Ergebnis ist fast immer: Chaos – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Die Welt ist heute so vielfältig und komplex, dass es nicht möglich ist, die Zukunft auch nur näherungsweise vorherzusagen. Manche nennen das die VUCA-Welt. Ein Begriff der in den 1990er Jahren in der US-Militärausbildung entstand und seit einiger Zeit auch in der Managementliteratur wieder populär geworden ist.
Um heute überhaupt noch strategisch handeln und nicht nur passiv reagieren zu können, braucht es aber gerade angesichts dieser komplexen Umwelt umso klarere Orientierungspunkte. In unserer Arbeit haben sich zwei Anker als besonders wirksam erwiesen. Der erste Orientierungspunkt ist ein motivierendes und zukunftsrobustes Zukunftsbild im Sinne einer starken Vision des Unternehmens. Das heißt klare Antworten auf die Frage “Wer wollen wir zukünftig sein?”. Pero Mićić hat hier die wichtigsten Anforderungen an eine solche Vision zusammengefasst. Der zweite Orientierungspunkt sind klare und solide hinterfragte Annahmen zur Zukunft des Marktes, insbesondere zu den künftigen Anforderungen der Kunden, den technologischen Möglichkeiten und der Wettbewerbssituation.
Alle strategischen Entscheidungen basieren auf Zukunftsannahmen
Dieser zweite Punkt ist so wichtig, weil jede Entscheidung auf Annahmen basiert und diese Annahmen gründen wiederum auf unserem Weltbild, unseren Erfahrungen, Vorlieben und Abneigungen. Die letztendlichen Gründe unserer Zukunftsannahmen sind also unbewusst, hoch emotional und psychologischer Natur. Deshalb gilt es, die eigenen Annahmen transparent zu machen und systematisch zu hinterfragen, indem man sie mit Trends, Argumenten und Denkmodellen aus Zukunftsforschung und Corporate Foresight “beschießt”. So werden die Annahmen und damit die auf ihnen aufbauenden Entscheidungen und Strategien zukunftsrobuster. Dabei geht es nicht darum, am Ende recht zu haben, sondern im Hier und Jetzt besser, schneller und mit mehr Sicherheit und Entschlossenheit zu entscheiden – und so früher zu erkennen, wenn man falsch liegt und die Strategie anpassen muss.
Bevor Sie weiterlesen, ein kleines Abschätzungs-Experiment zur Zukunft der Mobilität. Im Jahr 2017 hatten Elektrofahrzeuge weltweit einen Marktanteil von etwas über einem Prozent an den Neuwagenverkäufen. Wenn sich das Wachstum der Verkaufszahlen in den kommenden Jahren mit einer ähnlichen Geschwindigkeit fortsetzt wie in den letzten drei Jahren: Wie lange würde es dauern, bis wir in einer Welt leben, in der fast ausschließlich Elektrofahrzeuge verkauft werden?
Die Antwort ist ein erstaunlich kurzer Horizont: weniger als 10 Jahre! 2017 wurden weltweit je nach Quelle etwa 1,3 Millionen E-Fahrzeuge verkauft. 2016 waren es erst etwas über 800.000, 2015 gab es ca. 550.000 Neuzulassungen, 2014 etwa 330000. Daraus ergibt sich ein jährliches Wachstum von rund 60 Prozent. Die Zahl der verkauften Fahrzeuge verdoppelt sich also jeweils in etwas über einem Jahr. Bei gleichbleibendem Wachstum würde die 100-Millionen-Schwelle rechnerisch bereits 2027 deutlich überschritten. (2017 wurden rund 97 Millionen Fahrzeuge pro Jahr produziert). Selbst wenn man die Wachstumsrate halbiert, verschiebt sich der Zeitpunkt gerade einmal auf das Jahr 2034. Selbstverständlich ist eine solch einfache Extrapolation keinesfalls eine sichere Prognose. Es gibt eine Vielzahl alternativer Einschätzungen unterschiedlichster Institute und Experten (siehe z. B. die Übersicht in diesem Beitrag vom letzten November). Darum geht es auch gar nicht. Das Gedankenspiel ist wertvoll, weil es die eigene Vorstellungskraft erweitert und sich dazu eignet, festgefahrene Annahmen zu hinterfragen.
Eine Erkenntnis der Verhaltenspsychologie, die ich in den letzten 13 Jahren meiner Arbeit mit Top-Management-Teams bestätigt sehe, ist: Intuitiv überschätzen Menschen die Veränderung, die in einem Jahr stattfinden kann, unterschätzen aber gleichzeitig massiv das Veränderungspotenzial längerer Horizonte von zehn Jahren oder mehr. Der Physiker Albert Bartlett meinte sogar: “Die größte Unzulänglichkeit der menschlichen Rasse ist unsere Unfähigkeit, die Exponentialfunktion zu erfassen.” Diesen Denkfehler kann man durch bewusste Reflektion relativ einfach umgehen.
Tatsächlich verlaufen technologische Entwicklungen, also die Steigerung der Leistungsfähigkeit pro Geldeinheit, tatsächlich sehr häufig zeitweise auf steilen exponentiellen Wachstumskurven. Beispiele sind die Leistungsfähigkeit von CPUs, Künstliche Intelligenz und die Genomsequenzierung, aber auch die Photovoltaik und Batterietechnik. Verbreitung und Verkaufszahlen korrelieren sehr eng dazu. Eine schnelle Verdrängung von Verbrennungsmotoren durch Elektroantriebe ist damit zumindest plausibel. Die Wahrscheinlichkeitsbewertung überlasse ich jedem selbst.
Wie können Sie die Zukunftsannahmen als Fundament Ihrer Strategie konkret verbessern?
- Stellen Sie die richtigen Zukunftsfragen: Niemand kann sich 100 Annahmen merken und sie in Entscheidungen bewusst berücksichtigen. Fragen Sie nach den sechs bis acht wesentlichen äußeren Umständen, von denen Ihr Geschäft abhängt. Mehr als ein Dutzend sind es im Kern selten.
- Machen Sie die Annahmen im Führungsteam transparent und diskutieren Sie sie ergebnisoffen: Legen Sie die Annahmen des gesamten Führungsteams nebeneinander. Wo stimmen die Einschätzungen überein? Wo gibt es Kontroversen? Versuchen Sie zu einer gemeinsamen Einschätzung zu kommen, aber vermeiden Sie Gleichmacherei. Es geht nicht darum, Abweichler zu überzeugen, sondern darum, die Argumente kennenzulernen, die der Mehrheit nicht bekannt sind.
- Hinterfragen Sie die Argumente hinter den Annahmen rational, analytisch und distanziert: Bei der Einschätzung zukünftiger Entwicklungen lauert eine Vielzahl von Denkfallen. Gerade Gewohnheiten, Erfahrungen und Vorlieben der Vergangenheit kolonisieren immer wieder unsere Gedanken über die Zukunft. Vermeiden Sie diese durch bewusste Reflektion mit einem erfahrenen Coach oder Moderator.
- Challengen Sie Ihre Annahmen bewusst mit der Exponentialfunktion: Vor allem für technologische Entwicklungen, die Verbreitung neuer Produkte und die Durchsetzung alternativer Geschäftsmodelle eignet sich die gezielte exponentielle Extrapolation der Entwicklungen als Plausibilitätscheck. Wohin würde das Wachstumstempo der letzten drei Jahre über zehn oder fünfzehn Jahre führen? Was würde ein jährliches Wachstum von 20, 50 oder 100 Prozent bei neuen Technologien bedeuten? Lassen Sie sich nicht von einer kleinen Ausgangsbasis ablenken. Gerade bei bahnbrechenden Innovationen sind hohe zweistellige und sogar dreistellige Wachstumsraten in der Leistungsfähigkeit auch über längere Zeiträume nicht ungewöhnlich. Dadurch können auch heutige Nischenlösungen erstaunlich schnell zum Durchbruch kommen.
- Bleiben Sie pragmatisch in der Analyse: Die Validierung Ihrer Zukunftsannahmen ist eine prinzipiell unerschöpfliche Aufgabe. Es sind immer noch etwas mehr Präzision und eine noch tiefere Analyse möglich. Bleiben Sie pragmatisch und passen Sie den Aufwand an die Größe der zu treffenden Entscheidungen an. In gewissem Umfang gilt: Flexibilität ersetzt Voraussicht. Wenn Sie leicht umsteuern können, ist die Diskussion der Annahmen weniger relevant, als wenn Sie sich über Jahre festlegen müssen.
- Prüfen Sie Ihre Annahmen regelmäßig: Egal wie fundiert Sie Ihre Annahmen-Analyse machen, Sie werden immer in einigen Punkten falsch liegen. Der Wert transparenter Annahmen liegt dann darin, dass Sie früher erkennen, wo Sie strategisch gegensteuern müssen, weil sich das Umfeld anders entwickelt als gedacht.
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