Was führte zur Krise bei VW? Analyse der Zukunftsstrategie

Eine Welle an Kritik und Erklärungen zur Krise bei VW läuft gerade durch die Medien. Von den einen heißt es “jetzt rächt es sich, dass man alles auf Elektroautos setzt”. Von den anderen heißt es, “VW ist Elektromobilität zu zögerlich angegangen”. Was ist wahr? Immerhin ist die VW-Krise nur ein Vorbote für andere westliche Hersteller und auch andere Branchen.

Sie scheitern an ihren falschen Zukunftsannahmen

Wir bei der FMG müssen fast täglich betonen:

  1. Die Zukunftsannahmen des Führungsteams bestimmen grundlegend die Strategie und die Entscheidungen jedes Unternehmens. Sind die Zukunftsannahmen falsch, ist die Strategie gefährlich.
  2. Unternehmen scheitern vor allem an mangelhaften Zukunftsannahmen.

Zukunftsannahmen zu existenziellen Zukunftsfragen bestimmen die Strategie

Zur Zukunft des Automobilgeschäfts gibt es zu drei Zukunftsfragen jeweils zwei konkurrierende Zukunftsannahmen:

  1. In welchem Maße werden die Kunden in China langfristig deutsche Autos kaufen?
    1. Deutsche Technik ist seit Jahrzehnten in China beliebt und geachtet, was mit hohen Verkaufszahlen und Preisen belohnt wurde. Das wird auch bis 2035 so bleiben.
    2. Die Kunden in China sind zunehmend stolz auf ihre eigenen Hersteller und schätzen deren Software-Kompetenz, zahlreiche innovative Extras und vor allem deren niedrige Preise, die aus staatlicher Förderung und extrem hartem Wettbewerb resultieren. Die katastrophal sinkenden Verkaufszahlen von VW in China zeigen die einzig relevante Wirklichkeit. Deutsche und amerikanische Hersteller werden in China 2035 Nischenanbieter mit minimalem Absatz sein.
  2. Welche Antriebsarten werden in zehn Jahren gekauft?
    1. 2035 werden noch mehr als 50% der Neufahrzeuge mit einem Verbrennungsantrieb verkauft. Inklusive Plug-in-Hybriden.
    2. Bis 2035 werden in fast allen Märkten zu rund 90% nur noch batterieelektrisch betriebene PKW verkauft. Bei LKW findet die gleiche Transformation statt, sie dauert nur länger. Der starke Rückgang des E-Auto-Absatzes in Deutschland in 2024 ist in Wirklichkeit ein weltweites Plus von rund 20%.
  3. Wie viel werden die Antriebsarten in Kaufpreis und Gesamtkosten pro Kilometer kosten?
    1. Elektrofahrzeuge, PKW wie LKW, sind teurer als Verbrenner und bleiben es.
    2. Elektrofahrzeuge, PKW wie LKW, sind jetzt schon in Gesamtkostenwerden ungefähr gleichauf mit Verbrennungsantrieben. Die Kaufpreise werden allerdings bis 2035 um jährlich mindestens 10% sinken. Das liegt an Erfahrungs- und Lerneffekten, die mit jeder kumulierten Verdopplung der Produktion eine recht konstante Senkung der Herstellungskosten ermöglichen. Bei Verbrennern fände eine Verdopplung selbst in fünfzig Jahren nicht statt.
Absatz PKW China August 2024

Zukunftsstrategie A: Auf alte Stärken setzen, schonend und langsam wandeln

Wer von den Zukunftsannahmen 1.1, 2.1 und 3.1 überzeugt ist, sieht die VW-Strategie wie folgt:

  1. VW hat mit der Strategie “alles auf Elektro” einen großen Fehler gemacht (Hinweis: Diese Strategie gibt es bei VW nicht).
  2. Das Verbot des Verkaufs von Fahrzeugen mit lokalen CO2-Emissionen (fälschlich “Verbrennerverbot” genannt) muss zurückgenommen werden, um der deutschen Automobilindustrie nicht zu schaden.
  3. Die Refokussierung auf Plug-in-Hybride, im Wesentlichen Verbrenner, sichert die Ertragskraft und trägt ebenfalls zur CO2-Reduktion bei.
  4. Man wird noch Jahrzehnte lang Verbrenner-PKW und -LKW nach China und in weniger entwickelte Länder verkaufen können, weil diese sich Elektrofahrzeuge nicht leisten können und keine Infrastruktur dafür haben.
  5. Das alles sichert den Ertrag, den man für Investitionen in die allmähliche Transformation zum elektrischen Antrieb bis 2050 braucht.
  6. Wir bauen schon seit hundert Jahren Autos. Dann können wir Elektroautos natürlich auch besser als die Emporkömmlinge wie Tesla oder BYD.
Forecast Automotive

Zukunftsstrategie B: Schnell und fokussiert neue Stärken aufbauen, trotz Schmerzen

Wer von den Zukunftsannahmen 1.2, 2.2 und 3.2 überzeugt ist, sieht eine andere Strategie als richtig:

  1. Der Absatz von Verbrenner-PKW hatte den Höhepunkt in 2017 und fällt seither. Der Absatz fällt in Wirklichkeit exponentiell. Die Produktion von Verbrennern wird folglich “de-skalieren”. Immer weniger Absatz mit immer weniger ausgelasteten Anlagen macht die Verbrennerproduktion pro Stück teurer, unprofitabler und schließlich verlustträchtig. Die Strategie “mit Verbrenner-Gewinnen die Elektrifizierung finanzieren”, kann jetzt nicht mehr aufgehen.
  2. Elektroautos werden bei gleicher Leistung auch im Kaufpreis immer größere Preisvorteile haben. Somit gibt es kein Argument mehr für den Kauf eines Fahrzeuges mit Verbrennungsantrieb. Die Ladeinfrastruktur ist heute ausreichend und wird jedes Jahr mit dem Wachstum des Fahrzeugbestandes wachsen. Die Ladezeiten sinken immer stärker. Weniger als zehn Minuten von 20 auf 80% sind absehbar, wobei das auch nur für Langstrecken relevant ist. Das alles gilt in anderem Maßstab auch für Südamerika, Afrika und Süd-Asien.
  3. Für sich entwickelnde Regionen der Erde ist die lokale Stromerzeugung durch Solar, Wind und Wasser billiger und politisch robuster als der Import von Öl, Diesel und Benzin. Auch dort wird der Absatz von Verbrennern einbrechen und der von Elektrofahrzeugen marktbestimmend werden. Chinesische Anbieter sind dort heute schon sehr präsent. Für westliche Anbieter gilt es jetzt, dort schnell in die Köpfe der Käufer zu gelangen.
  4. Deshalb wird der Elektroanteil im größten Automarkt der Welt in China, wie auch verzögert in allen anderen Märkten, weiter einer S-Kurve folgend stark wachsen. Der Verbrenneranteil (inklusive Plug-in-Hybride) wird einer negativen S-Kurve folgend stark schrumpfen. Dem entsprechend ist jede Investition in Verbrenner langfristig weniger profitabel als eine Investition in Elektroantriebe.
  5. Aus den obigen Gründen ist die einzige wirklich stark wachsende Antriebsart die batterieelektrische. Sie ist “die Zukunft”. 2035 kauft kaum noch jemand Verbrenner. Verbote sind unnötig. Wer als Hersteller überleben oder gar erfolgreich sein will, muss sich auf diese Antriebsart konzentrieren. In der Entwicklung, Fertigung und in Marketing und Verkauf. Je früher desto besser, um mit großen Absatzzahlen Skaleneffekte zu erzielen und kostenmäßig wettbewerbsfähig zu sein. VW kann mit seinen Fahrzeugen im größten Automarkt der Welt in China immer weniger überzeugen, wie die schrumpfenden Absatzzahlen zeigen. Nicht mit den Verbrennern, und noch weniger mit den Elektroautos. So geriet VW in eine strategisch und finanziell prekäre Lage. Die leider erst den Anfang zeigt.
  6. Das alles hätte schon ab 2017 oder früher beginnen müssen als VW noch über zehn Millionen Fahrzeuge jährlich verkaufte. 

Zukunftsstrategie A ist rational betrachtet nicht haltbar

Da die Zukunft noch nicht passiert ist, kann jeder alles Mögliche glauben und sich im Recht wägen. Wenn man allerdings Verantwortung für hunderttausende Mitarbeiter und deren Familien hat, mal abgesehen von den Anteilseignern, hat man aus unserer Sicht die Pflicht, seine Zukunftsannahmen professioneller, also rationaler und robuster zu machen. Und damit auch die darauf fußende strategische Ausrichtung und die Investitionen. Das ist bei VW nicht passiert.
 

Die Zukunftsannahmen 1.1, 2.1 und 3.1 sind in rationaler Betrachtung nicht haltbar.

Damit ist auch die auf diesen Zukunftsannahmen fußende Strategie nicht haltbar.

VW war auf dem richtigen Weg - fast

Der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess hatte das alles erkannt und wollte bei VW eine konsequente Strategie mit Fokus auf die Elektrifizierung umsetzen. Mit ihm galt VW noch vor wenigen Jahren als einer der vielversprechenden Hersteller auf dem Elektroauto-Markt. Ernstzunehmende Experten sahen VW schon Tesla überholen. Das war übrigens alles lange vor “der Ampel” und vor “den Grünen”.

Ein so radikaler Wandel kann nicht ohne Schmerzen stattfinden. Arbeitsplatzverluste, enorme Investitionen in Neues und Aufgabe von Gewohntem. Herbert Diess hat das klar kommuniziert. Herbert Diess wurde gefeuert. Weil er das für die Zukunft Richtige tun wollte. Gefeuert wurde er von denen, die lieber im Hier und Jetzt bleiben wollen. Auch wenn die Welt sich unaufhaltsam zum Nachteil von VW ändert. Ausdruck dessen ist unter anderem die für 2023 gezahlte Dividende von 4,5 Milliarden Euro. In einem unternehmerisch gut geführten Unternehmen, außerhalb der Verzerrungen durch Börsen und Politik, hätte es diese Dividende nicht gegeben.

 

Leider ist VW als Gesamtorganisation weiterhin nicht in der Lage, sich so stark und so schnell zu wandeln, wie es notwendig wäre, eben um die Not abzuwenden. So muss VW beispielsweise mit Rivian und XPeng kooperieren. Audi muss mit SAIC zusammenarbeiten.  Der Grund ist, dass VW eine eigene Softwareplattform trotz enormer Investitionen und trotz tausender Entwickler schlicht immer noch nicht hinbekommen hat.

 

Es mag anmaßend anmuten, die Intelligenz und Erfahrung tausender hochbezahlter Manager bei VW in Frage zu stellen. Es hat sich jedoch in der Wirtschaftsgeschichte viele Male gezeigt, dass gerade die größten Unternehmen mit den größten Ressourcen und hochqualifizierten Managern im Effekt wenig zukunftsintelligente Strategien verfolgen.

VW hat also nicht zu viel auf Elektroantriebe gesetzt, sondern zu wenig.

Interessant ist, was ausgerechnet die VW-Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo fordert:

Ein Zukunftsbild! 

Unsere Rede! Herbert Diess hatte eines. Aus unserer Sicht das richtige.

Eine dringende Bitte an dich

Wenn ich mir eine Empfehlung erlauben darf: Schaue sehr kritisch auf deine Zukunftsannahmen. Von ihrer Qualität hängt die Existenz deines Unternehmens ab. Meist sind diese zentralen Überzeugungen, auf denen alle Entscheidungen beruhen, noch nicht einmal dokumentiert. Geschweige denn eingehend und rational begründet. Das gilt selbstverständlich auch für kleine Unternehmen. Bitte vermeide dieses enorme Risiko. Es ist nicht schwierig.

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