Digitalisierungsstrategie: Dr. Pero Mićić geht im Gespräch mit Simon Räbsamen (VBZ) und Enno Däneke (FMG) der Frage nach, wie sich die Verkehrsbetriebe Zürich erfolgreich auf eine digitale Zukunft ausgerichtet haben.
Dr. Pero Mićić: Sie haben in der Vergangenheit zwei Projekte erfolgreich mit der FutureManagementGroup AG durchgeführt. Im ersten Projekt ging es um konkrete Chancen und Innovationen gerade für den Bereich Infrastruktur. Im darauffolgenden Projekt sollten alle Digitalisierungsaktivitäten von der Kunden-Kommunikation über Infrastruktur und Betrieb bis hin zur Beschaffung durch eine klare Strategie auf ein gemeinsames Zielbild ausgerichtet werden. Als VBZ haben Sie in Ihrem Geschäftsfeld doch quasi eine Monopolstellung inne. Warum beschäftigen Sie sich also überhaupt mit den Fragen der Digitalisierung?
Simon Räbsamen: Ob man eine Monopolstellung innehat oder nicht, ist völlig unwichtig. Mit neuen disruptiven Geschäftsmodellen und Ideen kann eine Monopolstellung ganz rasch verschwinden. Mithilfe der Digitalisierung wollen wir uns weiterentwickeln und im Vergleich mit anderen Anbietern von Mobilitätsleistungen bzw. anderen Branchen führend bleiben; heute und in Zukunft.
Enno Däneke: Da stimme ich zu. Die jüngere Vergangenheit ist voll mit Beispielen von Firmen, die sich nicht oder in zu geringem Umfang mit überraschenden Szenarien auseinandergesetzt haben. Im Mobilitätssektor drängen weltweit neue Wettbewerber auf den Markt, Uber ist nur ein Beispiel. Sich hierbei auf den Gesetzgeber zu verlassen, kann auch schnell nach hinten losgehen. Die 2012 erfolgte Liberalisierung des Fernbusverkehrs in Deutschland stellt die Deutsche Bahn, bis dato einziger Anbieter, immer noch vor große Probleme.
PM: Welche neuen Erkenntnisse konnten Sie als Mitglied der Geschäftsleitung über Ihre Mitarbeiter, Ihr Geschäft und Ihr Unternehmen gewinnen?
RS: Grundsätzlich die hohe Bereitschaft, Flexibilität und mentale Kapazität, sich auf die neuen digitalen Themen einzulassen und sehr aktiv mitzuarbeiten.
Vernetzte Fahrzeuge, intelligente Infrastruktur, Informationssysteme und autonomes Fahren können die Art und Weise, wie wir mobil sind, grundsätzlich verändern.
ED: Die Digitalisierung verändert auch den Zuschnitt der Märkte. Vernetzte Fahrzeuge, intelligente Infrastruktur, Informationssysteme und autonomes Fahren können die Art und Weise, wie wir mobil sind, grundsätzlich verändern. Die Trennung zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr dürfte in der Zukunft deutlich unschärfer sein als heute. Eine 2016 veröffentlichte Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich geht davon aus, dass im Großraum Zürich ein autonomes Fahrzeug bis zu zehn konventionelle Fahrzeuge ersetzen könnte. Die durchschnittliche Wartezeit bis zum Eintreffen eines Fahrzeuges in dieser Simulation betrug etwas mehr als drei Minuten, egal, wo man sich befand. Selbst mit einem Zuschlag von 20 Prozent auf alle Zahlen, zeigt diese Studie, welches enorme Potential in diesen Technologien steckt.
PM: Unter dem Begriff der Digitalisierung können viele Aspekte summiert werden. In den wenigsten Fällen haben zwei Menschen die gleiche Vorstellung davon, was Digitalisierung überhaupt ist und bedeutet. Für den einen bedeutet es lediglich, eine schnelle Internetverbindung zu besitzen, während der andere bereits über autonomes Fahren spricht. Wie denken Sie, hat sich das Verständnis von Ihnen und Ihren Mitarbeitern zum Thema Digitalisierung durch die Zusammenarbeit mit der FutureManagementGroup AG verändert?
RS: Dank der Unterstützung durch die FutureManagementGroup AG konnten wir ein gemeinsames Verständnis von Digitalisierung erlangen, insbesondere auch in Fragen rund um die Zukunft. Sprechen wir von der morgigen Zukunft? Von einem Monat oder von Jahren? Wir vertreten definitiv die Haltung, dass Digitalisierung mehr ist als eine schnelle Internetverbindung.
Es geht ja darum, zunächst einmal ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, welche Annahmen das Führungsteam und die Mitarbeiter über die Zukunft haben.
ED: Es geht ja darum, zunächst einmal ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, welche Annahmen das Führungsteam und die Mitarbeiter über die Zukunft haben. Erst damit hat man die Orientierung, die man braucht, um Chancen wirklich bewerten zu können und eine Strategie zu entwickeln. Bei den VBZ hat sich in meinen Augen die Erkenntnis noch einmal verstärkt, dass viele technologische Möglichkeiten schneller kommen, als gemeinhin gedacht hat. Gleichzeitig sind aber etwa politische Entscheidungsprozesse und Regularien manchmal erstaunlich träge. Sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen, ist gerade für ein öffentliches Unternehmen eine Herausforderung. Gleichzeitig gibt es aber auch Dinge, die wohl auch in Jahrzehnten nicht viel anders sein werden als heute, zum Beispiel menschliche Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Selbstbestimmung, Einfachheit und soziale Anerkennung. Sie werden auch die Kundenbedürfnisse der Zukunft stark prägen. Diese Konstanten sind gute Anker für die Ausrichtung in einem dynamischen Feld wie der Digitalisierung.
PM: In regelmäßigen Abständen werden ja viele Themen, die direkt oder indirekt mit dem Thema Digitalisierung zu tun haben, in der Öffentlichkeit diskutiert. Gerade in den sozialen Medien wird Digitalisierung oftmals als Bedrohung wahrgenommen. Wie nehmen Sie und Ihre Mitarbeiter nach den beiden Projekten dieses Thema nun wahr? (Chance oder Herausforderung?)
Die größte Herausforderung: richtig priorisieren
RS: Grundsätzlich lässt sich die Digitalisierung nicht aufhalten. Wenn man sich dieser Themen nicht aktiv annimmt, wird man gegebenenfalls überrollt. Das kann zu einer Bedrohung werden. Wir wollen im Driver-Seat sein und uns aktiv mit der Digitalisierung beschäftigen; und zwar dort, wo es uns auch etwas bringt. Das ist zeitgleich auch die größte Herausforderung: richtig priorisieren und auch tatsächlich umsetzen und von den Erfolgen erzählen.
ED: Was für das eine Unternehmen eine Chance ist, ist für ein anderes eine Herausforderung. Beispielsweise sind autonome Fahrzeuge für einen Verkehrsbetrieb eine riesige Chance, aber ein Taxifahrer sieht das gleiche Thema sicherlich ganz anders. Wichtig ist es, zu erkennen, was auf einen zukommt, relevante Aspekte zu identifizieren und sich bestmöglich darauf vorzubereiten.
PM: Sie sind ja nun in einem sehr spezialisierten Unternehmen Mitglied der Geschäftsleitung. Verkehrsbetriebe sind von ihrer Strukturierung und ihren Zielen her nicht mit privatwirtschaftlichen Unternehmen zu vergleichen. Hatten Sie keine Bedenken, dass die Ergebnisse vielleicht nicht umsetzbar oder zu allgemein wären?
Wenn wir nicht messbare Resultate und Erfolge vorweisen können, werden sich die Mitarbeitenden rasch fragen, was „diese Digitalisierungsspezialisten“ tatsächlich „bringen“.
RS: Wir haben bei unseren Workshops immer darauf geachtet, dass die Ergebnisse und Erkenntnisse sehr rasch umsetzbar sind. Wenn wir keine messbaren Resultate und Erfolge vorweisen können, werden sich die Mitarbeitenden rasch fragen, was ‘diese Digitalisierungsspezialisten’ tatsächlich ‘bringen’. Bei der Infrastruktur haben wir beispielsweise nur digitale Ideen weiterverfolgt, die innerhalb von drei Jahren umgesetzt werden können.
PM: Wie würden Sie den Mehrwert für Ihr Unternehmen beschreiben, den Sie aus den beiden Projekten gewinnen konnten?
Wenn ich jetzt mit meinen Mitarbeitern über „Digitalisierung“ spreche, dann haben wir das gleiche Bild im Kopf. Auch über den Weg den wir beschreiten wollen um diese Zukunft zu erreichen ist uns klar.
RS: Ganz klar lässt sich sagen, dass wir die Begriffe ‘Digitalisierung’ und ‘Zukunft’ für uns genau definiert haben. Wenn ich jetzt mit meinen Mitarbeitern über Digitalisierung spreche, dann haben wir das gleiche Bild im Kopf. Auch der Weg, den wir beschreiten wollen, um diese Zukunft zu erreichen, ist uns klar. Zusammen haben wir dadurch größere Handlungssicherheit erlangt. Die Zukunft liegt nun nicht mehr ganz so im Nebel verborgen.
ED: Ein alter Grundsatz lautet: “Nur wer ein Ziel hat, kann auch führen.” Wir wollen bei unseren Klienten immer ein einheitliches Bild dieser unternehmerischen Zukunft bilden. Wenn alle innerhalb eines Teams eine klare Vision vor Augen haben und sich über den Weg dorthin einig sind, dann kann man sich gänzlich auf die Umsetzung konzentrieren. Dadurch kann der Koordinationsaufwand erheblich verringert werden, was sich in weniger oder kürzeren Team-Meetings bemerkbar macht, aber auch in schnelleren Entscheidungsprozessen und einer agileren Arbeitsweise.
PM: Können Sie uns ein kurzes Beispiel dafür geben, wie Sie die Ergebnisse aus den Projekten umsetzen konnten?
Wichtigste Erkenntnis: Prototyp bauen, testen, verbessern
RS: Als Beispiel möchte ich die smarte Weichenheizung nennen. Bis dato haben wir unsere Weichenheizungen eingeschaltet, sobald die Temperatur unter 6°C gefallen ist, egal ob es danach geregnet oder geschneit hat. Nun prüfen die Weichenheizungen beim Meteodienst, wann es gefriert und wann sie sich einschalten müssen. Mit dieser Maßnahme kann pro Weichenheizung ca. 50 Prozent Energie gespart werden. Wir haben das mit einem Prototyp auf unserem Areal getestet. Im nächsten Winter werden wir den Prototypen auf einen Verkehrsknoten ausweiten und bei gutem Befund über ein ganzheitliches Rollout nachdenken.
Wichtigste Erkenntnis: Prototyp bauen, testen, verbessern, prüfen und dann Rollout – und nicht zuerst ein 100 Prozent perfektes Produkt bauen wollen.
ED: Neben den großen, visionären Ideen ist es ganz wichtig, auch solche scheinbar naheliegenden Ideen zu entdecken. Dadurch wird es möglich, schnell Erfolge zu feiern und Energie und Akzeptanz für die großen Sprünge aufzubauen.
PM: Was waren die wichtigsten Erfolgsfaktoren bei der Durchführung des Projekts?
RS: Ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor war die frühzeitige Einbindung aller relevanten Entscheidungsgruppen. So konnte die Bereitschaft erhöht werden, sich auf einen neuen Ansatz einzulassen. Für uns war es ein absolutes Novum, mit einem Prototyp zu arbeiten, wohlwissend, dass dieser nicht zu 100 Prozent perfekt sein wird und wir die Ergebnisse nicht sicher prognostizieren können.
PM: Chancen, Visionen, Zukunftsfaktoren, das klingt zunächst einmal nach einem Blick in die Glaskugel. Wie haben sie die Arbeitsweise der FutureManagementGroup AG wahrgenommen?
RS: Sehr strukturiert, überlegt, nachvollziehbar und herausfordernd. Es gab Raum für ‘fancy ideas’. Es wurde aber immer auch ganz konkret und verbindlich.
PM: Und für Ihre Mitarbeiter? War denn viel Überzeugungsarbeit notwendig?
RS: Die Kultur gibt den Umsetzungserfolg dieser digitalen Innovationen und Strategien vor. Es ist meiner Einschätzung nach ganz wichtig, dass dieser Weg vom Top-Management eingefordert und vorgelebt wird. Zum Glück stehen unsere Mitarbeitenden diesen Ideen offen gegenüber und sehen es als Chance. Es brauchte daher nicht viel Überzeugungsarbeit.
Dr. Pero Mićić gilt international als ein führender Experte für Zukunftsmanagement. Er ist Vorstand der FutureManagementGroup AG, deren Mission es ist, Top-Entscheidern in Wirtschaft, Politik und Verwaltung zu helfen, mehr von der Zukunft zu sehen als die Konkurrenz.
Simon Räbsamen ist Bereichsleiter Infrastruktur und Mitglied der Geschäftsleitung der Verkehrsbetriebe Zürich. Der Unternehmensbereich Infrastruktur ermöglicht mit Innovation und Nachhaltigkeit die exzellente Infrastruktur und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung der Unternehmensvision.
Enno Däneke ist geschäftsleitender Partner bei der FutureManagementGroup AG. Er betreut Klienten in den Branchen Mobilität und Logistik. Er unterstützt Führungsteams bei der Entwicklung einer motivierenden Vision und zukunftsrobusten Strategie.